____Resurgenz__________________________________________

    
 

Hälfte des Lebens …

"Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf daß du lange lebest in dem Lande, daß dir der HERR, dein Gott, gibt.”
Exodus 20,12

… weh mir, spricht Hölderlin, wo nehm’ ich, wenn es Winter ist die Blumen und wo den Sonnenschein. Aber wer kann über seine Lebenshälfte wirklich, also nicht nur spekulativ nachträglich sprechen? Plötzlich - Herzinfarkt, Krebs, in anderen Weltgegenden Autobomben, und woanders auch, wo kleine Menschen nicht können zählen bis 2.
Aber hier, eine Generation noch vor mir, habe ich geehrt genug? Und was bin ich alles schuldig geblieben, und was, nicht im Gebot verzeichnet, ist die Klage die ich führen könnte? Aber nach mir die nächste Generation; vor-pubertär/pubertär nimmt sich das ‘Kind’ oder probiert zuweilen die Freiheiten, die mit der Ehre und dem Ehren nichts zu tun haben. Nicht schlimm, denn das ist nun die Hälfte, egal was kommt.

6. April 2014

Verglühend

"Was ist alles, was in Jahrtausenden die Menschen taten und dachten, gegen einen Augenblick der Liebe?"

Friedrich Hölderlin: Hyperion oder ein Eremit in Griechenland; Frankfurt/M. 1979 (1797-1799); S. 71

Mit Hölderlin: Das schöne und schreckliche im und am Leben ist, dass alle Last - und im umgekehrten Fall auch alle Freude -, alle Schichtungen des gesammelten Lebens, gleich welcher Art, in einem Augenblick relativiert werden und verglühen können (Was ist alles … gegen?). Dagegen die Ebene des Lebens: Das gute Leben besteht nicht aus einer kontinuierlichen Kette solch ‘liebender’ (das wäre Hybris) oder dunkler’ Augenblicke (das wäre die Hölle), sondern aus der Fähigkeit, nach solchen Augenblicken weiter leben zu können. Vermutungsweise.

6. April 2014

Lass dich werden

"Das Gebot des alten Despotismus lautete: ‘Du  sollst nicht.’ Das Gebot der totalitären Systeme hieß: ‘Du sollst.’ Unser Gebot ist: ‘Sei.’"

George Orwell: 1984; Frankfurt/M. - Berlin - Wien 1976 (1949); S. 235

Überwachung wühlt nicht mehr in den Tiefen des Sinns. Als ob es jemanden interessieren würde, was wir unseren Tagebüchern anvertrauen: gestern traurig, heute voller Hoffnung, morgen verliebt und dann noch die Verdauung, so als wüsste ich, wie es um mich bestellt ist.

Dagegen Milliarden und Billionen von - an sich trivialen - Daten, über die man Algorithmen laufen lassen kann, die neue Algorithmen und neue Muster finden: männliche Studenten die x-Stunden die Woche im Internet Pornographie konsumieren, mit einer bestimmten Kreditkarte Lebensmittel mit einem Zuckeranteil von x-Prozent einkaufen, dabei x-mal im Jahr einen Frisör aufsuchen und als Verkehrsmittel vor allem Fahrrad und Bahn nutzen, werden mit x-prozentiger Wahrscheinlichkeit vor ihrem x-ten Lebensjahr heiraten und mit x-prozentiger Wahrscheinlichkeit vor ihrem x-ten Lebensjahr einen Herzinfarkt erleiden. Frauen, die mehr als 2 x im Jahr sich im Ausland aufhalten, mehr als eine Fremdsprache sprechen und häufiger als 2 x am Tag in einem sozialen Netzwerk aktiv sind, werden mit einer Wahrscheinlichkeit von x-Prozent eine Führungsposition bekleiden und mit x-prozentiger Wahrscheinlichkeit psychisch erkranken. Kein Klischee, das nicht  bestätigt oder durchbrochen werden könnte.

Daher lautet die angstvolle Frage nicht mehr, was der Andere (ein Platzhalter für viele freundliche Institutionen) über mich als konkrete Person weiß, wieviel er von meinem Wissen und Bewußtsein er sich angeeignet hat, sondern ob die Algorithmen gefunden und berücksichtigt werden, welche mich mit meinem Verhalten und meinen Besonderheiten umfassend repräsentieren.

6. April 2014