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Musik die berührt

Es ist naheliegend, Musik auch als eine Repräsentation von Affekten und Emotionen zu beschreiben, gerade weil man die Sinngehalte nicht aus der Musik herauslesen kann, in ihr aber zweifelsohne etwas mitgeteilt wird. Als Repräsentation, so die Logik weiter, kann sie beim Zuhörer wiederum das evozieren, was ihr als Affekt zugrunde lag. So ensteht zornige, wehmütige, freudige Musik, die wiederum von ihren Zuhörern verstanden wird, weil diese Hörer mit der Grundstimmung der Musik schon vorgängig vertraut sind, könnte man weiter argumentieren. Die Fraglichkeiten eines solchen "expressiven Modells" fangen schon (oder bekanntlich) bei der Frage der Re-Päsentation an, also damit, ob nicht jedwede Repräsentation das Repräsentierte nicht unweigerlich mitformt, da das 'Ausgangsmaterial' bzw. der Ursprung in seiner Reinheit oder Unberührtheit gar nicht existieren kann, sondern durch die 'Vermittlung' erst mit-entsteht (zumindest als geteiltes Phänomen). Folgen wir einer anderen Spur. Könnte man nicht fragen, ob nicht in gewisser Weise umgekehrt das 'Subjekt' "zuallererst die rhythmische Einfaltung/Entfaltung eines Umschlags zwischen 'drinnen' und 'draußen' wäre", wie Jean Luc Nancy in dem kleinen Buch "Zum Gehör" vorschlägt und zwar "vor jeder Möglichkeit einer (...) präsentierbaren Figur", wie er weiter hervorhebt. Nun ist der Rhythmus nur ein Teil der Musik und wird, so Nancy weiter, durch die Klangfarbe begleitet. Beide wiederum umreißen nach Nancy "die matrizielle Konstitution der Resonanz". Im weitesten Sinne wäre die 'Musik' (Rhythmus und Klangfarbe/Timbre) die Bedingung dafür, dass etwas in uns wiederhallen kann. Wir finden in der Musik etwas, das wir niemals hatten oder besaßen, weil es (Rhyhtmus / Timbre) uns mitkonstituierte und immer wieder neu erschafft, unterhalb der Bedeutung und oberhalb der Bedeutungslosigkeit. Für unser Sein ist das Stottern und Lallen, das Singen und Klopfen, viel grundlegender als der sinnvolle Satz. Und vielleicht ist Musik deshalb so eng mit den Affekten verknüpft, weil in ihr das Spiel der Entbindung und Einbindung (von Innen und Außen / von Energien und Bahnungen) ein Spiel ist, das nicht unter der Last einer zu repräsentierenden Wirklichkeit ächzt.

31 Mai 2017

Das verlorene Organ

“Man kann den Philosophen vielleicht als denjenigen bezeichnen, der das aufzeichnende und reagierende Organ für die Ganzheit des Seins hat.”
Georg Simmel: Hauptprobleme der Philosophie; Berlin/New York 1989 (1910), S. 11

Wer könnte das heute, gut hundert Jahre später, noch behaupten, ohne rot zu werden

2015-01-26

Twitterable Taugenichtse


"Es wird keinem an der Wiege gesungen, was künftig aus ihm wird, eine blinde Henne findet manchmal auch ein Korn, wer zuletzt lacht, lacht am besten, unverhofft kommt oft, der Mensch denkt und Gott lenkt, so meditiert ich, als ich am folgenden Tage wieder mit meiner Pfeife im Garten saß und es mir dabei, da ich so aufmerksam an mir heruntersah, fast vorkommen wollte, als wäre ich doch eigentlich ein rechter Lump."
Joseph von Eichendorff: Aus dem Leben eines Taugenichts; Stuttgart 1990 (1826); S. 8

Alter Text, langer Satz, wo es doch heute um die “twitterable moments” geht. #Romantik: mit Phrasen - Mensch denkt, Gott lenkt - um’s sehnsuchtsvolle Ich, ich glücklicher Lump und bin so klug als wie zuvor; ist gut.

30 Mai 2014 

Auf Entzug

“Du, Schlaf, der oft dem Grame Lindrung verleiht, Entziehe mich mir selbst auf kurze Zeit.”
William Shakespeare: Ein Sommernachtstraum; Zürich 1979 (1595/96 ), S. 48

Selbst-Entzug - entspannend, wenn das Ich nicht mehr auf Ich-Droge ist.

23. April 2014

Autoerotik oder die Kunst des Ausspannens

"Weil es endlich an der Zeit ist, dem armen tugendhaften Menschen eine Erholung zu vergönnen; weil der Ausdruck ‘ein tugendhafter Mensch’ im Munde der Menschen hohl und wertlos geworden ist; weil sie den tugendhaften Menschen sozusagen in ein Pferd verwandelt haben und es keinen Schriftsteller gibt, der nicht mit ihm herumkutschierte und es mit der Peitsche und allem, was ihm sonst noch in die Hand kommt, antriebe; weil sie den tugendhaften Menschen dermaßen zermartert haben, dass jetzt auch nicht ein Schatten von Tugend mehr an ihm zu finden ist, sondern von dem Körper nur die Rippen und die Haut übriggeblieben sind; weil es eine Heuchelei ist, wenn sie den tugendhaften Menschen an den Wagen rufen; weil sie den tugendhaften Menschen gar nicht achten."
Nikolai Gogol: Die toten Seelen; Frankfurt/M. / Leipzig 2003 (1842); S. 307 f.

Heute spannt man nicht den tugendhaften, sondern den selbstgemanageten Menschen vor den Karren des produktiven Lebens, was den Vorteil bietet, dass man durch Selbstkasteiung sich eigenhändig das Fleisch vom Körper peitscht, in der Hoffnung etwas schneller voran zu kommen. Aber nicht nur peitschen, auch mal streicheln. Ist gut für die Seele und die Haut.

16. April  2014

Wer zum Teufel weiß es?

"Oder ist das Leben aller Menschen so wie das von uns ordentlichen Leuten - wie das Leben der Ashburnhams, der Dowells, der Ruffords - ein zerbrochenes, gewitteriges, quälendes und unromantisches Leben, zuzeiten von Schmerzensschreien, von Torheiten, von Tod und tausend Ängsten gezeichnet?"
Ford Madox Ford: Die allertraurigste Geschichte; Zürich 1978 (1915); S. 230

Ja, aber auch ein freudiges, eindrückliches, überschwengliches, unglaubliches, unbegreifliches Leben, zuzeiten von Glücksrufen, von Hilfsbereitschaft, von Geburt und vielen neugierigen Momenten gezeichnet.
Die Mittelmäßigkeit des ordentlichen Lebens entsteht nicht dadurch, dass es nur ‘schlecht’ oder mal so und mal so ist, sondern dass die Dinge immer auf eine bestimmte Art und Weise sein sollen. Die Spießigkeit des Reihenhausbesitzers mit geometrisch angelegten Vorgarten unterscheidet sich hier z.B. nicht von einer autonomen Szene mit ihren eingefrorenen Denkschablonen (wobei ich mich seit jeher frage, wie jemand sich ‘autonom’ nennen kann, ohne sofort in schallendes Gelächter auszubrechen).

10. April 2014