George Orwell: 1984; Frankfurt/M. - Berlin - Wien 1976 (1949); S. 235
Überwachung wühlt nicht mehr in den Tiefen des Sinns. Als ob es jemanden interessieren würde, was wir unseren Tagebüchern anvertrauen: gestern traurig, heute voller Hoffnung, morgen verliebt und dann noch die Verdauung, so als wüsste ich, wie es um mich bestellt ist.
Dagegen Milliarden und Billionen von - an sich trivialen - Daten, über die man Algorithmen laufen lassen kann, die neue Algorithmen und neue Muster finden: männliche Studenten die x-Stunden die Woche im Internet Pornographie konsumieren, mit einer bestimmten Kreditkarte Lebensmittel mit einem Zuckeranteil von x-Prozent einkaufen, dabei x-mal im Jahr einen Frisör aufsuchen und als Verkehrsmittel vor allem Fahrrad und Bahn nutzen, werden mit x-prozentiger Wahrscheinlichkeit vor ihrem x-ten Lebensjahr heiraten und mit x-prozentiger Wahrscheinlichkeit vor ihrem x-ten Lebensjahr einen Herzinfarkt erleiden. Frauen, die mehr als 2 x im Jahr sich im Ausland aufhalten, mehr als eine Fremdsprache sprechen und häufiger als 2 x am Tag in einem sozialen Netzwerk aktiv sind, werden mit einer Wahrscheinlichkeit von x-Prozent eine Führungsposition bekleiden und mit x-prozentiger Wahrscheinlichkeit psychisch erkranken. Kein Klischee, das nicht bestätigt oder durchbrochen werden könnte.
Daher lautet die angstvolle Frage nicht mehr, was der Andere (ein Platzhalter für viele freundliche Institutionen) über mich als konkrete Person weiß, wieviel er von meinem Wissen und Bewußtsein er sich angeeignet hat, sondern ob die Algorithmen gefunden und berücksichtigt werden, welche mich mit meinem Verhalten und meinen Besonderheiten umfassend repräsentieren.
6. April 2014